Hier einige Bemerkungen zu Heideggers Vorlesung WS 1919/20 Grundprobleme der Phänomenologie GA58. In dieser Frühphase seines Denkens ist Heidegger noch in der Auseinandersetzung mit seinem Lehrer Husserl und liegt im Clinch mit Rickert und der Marburger Schule. Er will die Vergegenständlichung von diesen Philosophien vermeiden und sich ganz nah am "Leben an sich" (GA58:29 et passim) halten, um endlich zu einer Abhebung des "Lebens an und für sich" (GA58:253 et passim) zu kommen. Hier ist —trotz aller Polemik gegen die Dialektik in dieser Phase — die Terminologie ziemlich an Hegels Phänomenologie des Geistes angelehnt.
Mir fällt auf bei Heideggers Erörterungen des lebendigen "Erfahrens" in einer Situation und dann der Erinnerung desselben in der "Kenntnisnahme", daß er von einem "Strömen" sowohl des Erfahrens selbst als auch der Kenntnisnahme beim Erzählen, d.h. von einer kontinuierlichen Bewegung des "Mitgehens" ausgeht, statt auf ein 'Hüpfen' und 'Springen' des Geistes durch Vergegenwärtigung frei durch alle drei zeitlichen Dimensionen aufmerksam zu machen, was seine Beispiele aus dem faktischen Leben durchaus hergeben. Heideggers Denken wird diese Einischt in die eigenartige Bewegung der Vergegenwärtigung auch nie klar erlangen. Dies aber zunächst einmal nur nebenbei bemerkt.
In den MS-Seiten zum Schlußteil der Vorlesung faßt Heidegger ihren Gang und die Absicht zusammen "Die vordeutende Heraushebung der drei Charaktere »Selbstgenügsamkeit«, »Ausdruckszusammenhang«, »Bedeutsamkeit« als vorfindlich im faktischen Leben geschah in der methodischen Absicht, damit wegzeigende Motive verfügbar zu machen für ein möglichst konkretes Erfassen des Lebens selbst. Dieses Erfassen wurde angesetzt als Ursprungsverstehen des Lebens." (GA58:139)
Die drei "Charaktere" sind gut angesetzt, um möglichst nah am faktischen Leben zu bleiben, aber das "Ursprungsverstehen des Lebens" wird und kann so nicht erreicht und begriffen werden. Die Vorlesung schließt, ohne daß ein "Ursprungsverstehen des Lebens" sichtbar wird. Von seinem Ausgangspunkt und seiner Zielrichtung aus sind nur phänomenologische Einzelanalysen von "Situationen" erreichbar — etwa in einem erweiterten — da situations- statt gegenstandsbezogenen — Husserlschen Sinn. Heidegger befindet sich auf einem seiner berühmten "Holzwege". Die Ängstlichkeit gegenüber der Vergegenständlichung, die so 'selbstverständlich' in den Wissenschaften — vor allem in der Psychologie — praktiziert wird, hält ihn davon ab, eine Begrifflichkeit zu entwickeln, die "für ein möglichst konkretes Erfassen des Lebens selbst" taugt. Somit wird später — etwa in Sein und Zeit (1927) — die Bedeutsamkeit in die "Bewandtnisganzheit" (SuZ §18) des Zeugs als einen Begriff der "Weltlichkeit der Welt" (SuZ §18) verwandelt. In der Zwischenzeit gewinnen seine Auseinandersetzungen mit Platon und Aristoteles an Schärfe, so daß es ihm letztendlich möglich wird, so etwas wie den Seinsentwurf eines Zeitalters zu sehen als das "Ursprungsverstehen des Lebens". Dieser Seinsentwurf, solange er nicht explizit abgehoben wird, herrscht in einer gegebenen geschichtlichen Welt als selbstverständlich vor und 'verblendet' so die Menschen (vgl. "Verblendungszusammenhang" Adorno, der damit ausnahmsweise bezüglich der Wertdinglichkeit den Nagel auf den Kopf trifft).
Um vom Bewußtsein zum Da (der Zeitlichtung — in meiner Begrifflichkeit) zu kommen, muß Heidegger sich mehrfach denkerisch verwandeln. Die Verwandlung eines 'selbstverständlichen' geschichtlichen Weltverständnisses erfordert viel mehr als phänomenologische Einzelanalysen von Situationen. Die geschichtliche Verwandlung des Geistes selbst ergibt von sich aus eine alternative Welt. So ist der eigentliche philosophische Kampf: anders, möglichst nah an den elementarsten Phänomenen des Lebens selbst, denken zu lernen, um sie anders sehen zu können. In der heutigen "Zugrichtung des Lebens" scheint dies völlig unmöglich zu sein. Der Zug fährt weiterhin in den alten, bequemen Bahnen einer 'selbstverständlichen' Vergegenständlichung aller Wesenden, d.h. aller An- und Abwesenden in der Zeitlichtung, um all ihre Bewegungen durch Berechnung und (vorzugsweise) wirkkausale Erklärung möglichst in den Griff zu bekommen.
Mit 17 Jahren habe ich Kafkas unvollendeten Roman, Der Prozeß, zum ersten Mal in englischer Übersetzung gelesen. Er hat mich bis heute nicht losgelassen. Das war meine erste (von Kafka zur Sprache gebrachte) Erfahrung von der Fremdheit der Welt, ihrer Fragwürdigkeit, die mich letztendlich in die Philosophie führte. Nicht in eine bequeme Philosophie der 'Consolatio' und der 'Weisheit', sondern in eine des radikalen In-Frage-stellens der Selbstverständlichkeit meiner geschichtlich gegebenen Welt. Das Allerschwierigste an diesem In-Frage-stellen des Selbstverständlichen besteht darin, daß in der Erfahrung seiner bzw. ihrer jeweiligen Welt jeder und jede schon alles — sogar auch die Tiefendimension des Ontologischen — sehr gut vorontologisch versteht und deshalb nicht einsieht, warum man sich mit anscheinend banalen und selbstverständlichen Phänomenen herumschlagen müßte, um das implizite vorontologische Wissen auf die Ebene eines expliziten ontologischen Wissens zu heben.
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