Wie ist ein weiterführenderAbsprung von Heideggers frühem Denken möglich? Die eine Möglichkeit läuft über die Bewegungsphänomene. Diese kommen bei Heidegger in den Brennpunkt seiner Analysen z.B. im WS 1921/22 Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles: Einführung in die phänomenologische Forschung GA61, insbesondere im III. Teil
“1. Kapitel Grundkategorien des Lebens
E. Die Bewegungskategorien. Reluzenz und Praestruktion
a) Die Bewegungskategorien in der Neigung
b) Die Bewegungskategorien in der Abstandstilgung
c) Die Bewegungskategorien in der Abriegelung
2. Kapitel Die Ruinanz
Ruinanz die Bewegtheit, die das Leben in ihm, als es, für sich, aus sich heraus, d. i. gegen sich selbst »ist«”
Dies nur als grober Hinweis darauf, daß für Heidegger das "Leben" (was später in "Dasein" umbenannt wird) als (eine Art bzw. Arten von) Bewegung aufgefaßt bzw. ausgelegt wird, was wohl kaum umstritten werden kann.
Wie in meiner vorigen Post bemerkt geht es im SS 1923 GA63 ausdrücklich darum, den "Seinscharakter" des Daseins in einer passenden zusammenhängenden Begrifflichkeit auszuarbeiten, und zwar in einer "Hermeneutik der Faktizität", wobei in dieser Hermeneutik "Faktizität = jeweils unser eigenes Dasein" (GA63:21). Dabei ist das Dasein nicht der Mensch, sondern eine Seins- bzw. Anwesungsweise, die uns Menschen angeht, an der wir als Menschen teilhaben und die Heidegger auch "Existenz" nennt. Somit werden die Kategorien der traditionellen Ontologie in dieser Daseinsontologie zu Existenzialien. ("Vorhabe der Hermeneutik die eigenste Möglichkeit des Daseins, die Existenz; ihre Begriffe sind Existenzialien" (GA63:16))
"Jeweils unser eigenes Dasein" kann verstanden werden als die Existenz des einzelnen Daseins insbesondere als Selbst. Die Existenz des einzelnen Daseins jedoch ist umfassender als ein vereinzeltes Dasein, sondern — insofern das Selbst eine Selbstwelt hat — umfaßt notwendig auch das Miteinandersein als zum "Seinscharakter" des Daseins gehörig. Dies erfordert aber, daß "das eigene Dasein" eigentlich in einer Pluralität gedacht werden muß: den Einzelnen als Einzelnen 'gibt' es nur im Miteinander. Um dieses Miteinander als Seinscharakter des Daseins zu begreifen, bedarf es u.a. eines Begriffs der eigentümlichen Bewegungsart des Miteinanders, in der Dasein und Dasein sich begegnen. Die betreffende Bewegungsart ist alles andere als ein lineares Nacheinander, sei es als Aktion und Reaktion, d.h. als Interaktion, zu begreifen, sondern als ein gegenseitiges Schätzspiel, in dem die Spieler sich ständig gegenseitig schätzen, und zwar in allen möglichen Schattierungen, die die Phänomenalität des Schätzens hergibt. Von daher könnte man von einem Geschätz aller möglichen Spielarten des gegenseitigen Schätzens (τιμἠ) sprechen, das das Miteinandersein wesenhaft charakterisiert. Soweit ich sehe, hat Heidegger diese Bewegungsart des Lebens bzw. des Daseins als Schätzspiel nicht gesehen, geschweige denn ausgearbeitet.
Die Bewegungsart des gegenseitigen Schätzspiels läßt sich überhaupt nicht von der linearen Zeit des Nacheinander der Jetzte fassen, sondern bedarf als erstes der Offenheit der Gabe der dreidimensionalen Zeit, die erst die Freiheit in der existenziellen Bewegung, d.h. die Bewegungsfreiheit der Spieler im Schätzspiel, ermöglicht. Die Begegnung zwischen Dasein und Dasein ist ein gegenseitiges Geben von Schätzungen des Anderen, das als freies Interplay (Wechselspiel) zu bezeichnen ist, da die Züge in diesem Wechselspiel nicht kausal-linear erfolgen. Denn die drei zeitlichen Dimensionen sind unabhängig voneinander (was Heidegger nicht deutlich sieht), was auch den Spielern selbst viel Spielraum mit überraschenden, unkalkulierbaren Zügen läßt. Damit geht einher, daß erst mit diesem existenziellen Bewegungsbegriff es überhaupt möglich wird, die Bewegtheit des Miteinanders auch als ein Kräfte- und Machtspiel auszulegen, das gewissermaßen zur Kehrseite des gegenseitigen Schätzspiels gehört. Denn die Spieler im Schätzspiel bewegen sich durch die Äußerung ihrer Kräfte und Mächte.
Aus meiner Sicht bedarf ein phänomenal adäquater Begriff der gesellschaftlichen und politischen Macht der Gründung in der existenziellen Ontologie des gegenseitigen Schätzspiels. Soweit ich sehe, ist dies bisher nirgends — weder in der Philosophie noch in den Sozialwissenschaften — geleistet. Dabei ist das gegenseitige Schätzspiel keineswegs ein Vorgestelltes, sondern eine hermeneutische Auffassungs- und folglich eine Anwesungsweise unseres eigenen geteilten Daseins in der Bewegtheit des Miteinanders.
Das Verhältnis des Daseins zur Natur, zu den Dingen, die nicht an der Seinsweise des Daseins teilhaben, kann gleichsam als einseitiges oder verkürztes Schätzen aufgefaßt werden. Bodenschätze z.B. sind als bloße Naturressourcen vergegenständlicht und somit unterschätzt. Die Elektronen z.B. werden skrupellos ausgenützt um des Stroms willen, der als eine physische, technisch beherrschte Bewegungsart unsere eigene Lebensbewegtheit auf der Erde wesentlich unterstützt und erleichtert oder vielmehr sie in dieser modernen Weise der Bequemlichkeit erst ermöglicht. Auch die reine Bewegungsenergie der Photonen wurde von der modernen mathematisierten Physik als solche entworfen, um physische Bewegungsphänomene wirkkausal zu erklären, und so unter die wissende Herrschaft über die physische Bewegung zu bringen. Es wird nicht gefragt, ob dabei das Phänomen Photon unterschätzt worden ist, sondern nur, ob die Auffassungsweise der Photonen als reiner Bewegungsenergie effektiv ist.
28 April 2021
Bewegungsphänomene, Schätzspiele
25 April 2021
Zu Heideggers Vorlesung SS 1923 GA63
Wie in meiner letzten Post ausgeführt war Heidegger in seinen Vorlesungen 1919/20 GA58 m.E. gar nicht so weit, sondern eiert eher herum, um seinen Weg zu finden. Er ist noch auf der Suche nach einem "Ursprungsverstehen des Lebens" (GA58:139), das es nicht vergegenständlicht. Auch im SS 2020 Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks GA59 ist er lediglich mit der "Destruktion" zweier Ansätze zur Lebensphilosophie beschäftigt: des Aprioriproblems und des Erlebnisproblems.
Erst 1923 im SS Ontologie (Hermeneutik der Faktizität) GA:63 hat er m.E. die Spur gefunden, die ihn viel weiter bringen wird, und zwar in einer hermeneutischen Ontologie der Faktizität, wobei Faktizität "das eigene Dasein als befragt auf seinen Seinscharakter" (GA63:29) bedeutet. Da erscheint eine durchdachte Begrifflichkeit, die Rede ist nicht mehr vom "Leben", sondern vom "Dasein".
"Die Hermeneutik hat die Aufgabe, das je eigene Dasein in seinem Seinscharakter diesem Dasein selbst zugänglich zu machen, mitzuteilen, der Selbstentfremdung, mit der das Dasein geschlagen ist, nachzugehen. In der Hermeneutik bildet sich für das Dasein eine Möglichkeit aus, für sich selbst verstehend zu werden und zu sein." (GA63:15)
Das je eigene Dasein bleibt von sich selbst entfremdet, solange es seinen eigenen Seinscharakter nicht versteht. Dieses Sich-selbst-Verstehen erfordert Begriffe, nämlich hermeneutisch-ontologische Begriffe, die sich an die Phänomenalität des Daseins anschmiegen und damit zu "Existenzialien" werden.
"Das »Heute« nach seinem ontologischen Charakter, als Wie der Faktizität (Existenz), kann voll erst bestimmt werden, wenn explizit das Grundphänomen der Faktizität sichtbar geworden ist: »die Zeitlichkeit« (keine Kategorie, sondern Existenzial)." (GA63:31)
Hier kommt die Zeitlichkeit, die keine Rolle in GA58 gespielt hat, zum Durchbruch, und das Grundphänomen der Faktizität des eigenen Daseins entpuppt sich als die Zeitlichkeit! Ich bin also die Zeit selbst auf meine je eigene Weise! Du bist also die Zeit selbst auf deine je eigene Weise! Existenziale betreffen nicht, was das Dasein, sondern wer jeweils das Dasein-in-der-Welt eines geschichtlichen Zeitalters ist. Viel später — in seinem Vortrag 'Zeit und Sein' (1962) — wird das Dasein insofern die vierte Dimension der offenen Zeit, als die dreidimensionale Zeit es er-reicht. 1923 ist es jedoch noch nicht so weit: "Das eigene Dasein ist, was es ist, gerade und nur in seinem jeweiligen »Da«." (GA63:29) Und dieses "Da", wie es sich herausstellen wird, ist die je eigene dreidimensionale Zeitlichkeit selbst, wie sie je eigens in ihrer jeweiligen Stimmungsresonanz erfahren wird. Diese Zeitlichkeit ist aber auch das, was wir unentrinnbar miteinander teilen, und somit die ontologisch-existenziale Grundlage alles Miteinanders, alles Wir. Die Zeitlichkeit als Offenheit des Da ist auch die geschichtliche Offenheit für den jeweiligen Seinsentwurf, d.h. für das hermeneutisch-ontologische Gerüst eines Zeitalters, wobei sich die Seinsentwurfe verschiedener Zeitalter auch überlagern können und somit 'koexistieren'. Das hermeneutisch-ontologische Gerüst erfordert eine eigene zusammenhängende Begrifflichkeit, damit der geschichtliche Geist eines Zeitalters explizit (an und für sich) ausgelegt wird. Die "Bedeutsamkeit" von GA58 wird zum "Begegnischarakter der Welt" (GA63 II. Teil, 4. Kap.)
"Es kommt auf hermeneutische Explikation an, nicht weltlicher Bericht über das, was »los ist«." (GA63:30) Also kein unendliches soziologisches Projekt im Geist des Positivismus, das das Empirische unendlich erforscht und erzählend aufbereitet und so vor lauter Bäume den Wald nicht sehen kann.
Mit diesem fundamentalen Verständnis des Grundphänomens des Da des Daseins kann man sich dann weiter an andere Grundphänomene im geschichtlichen hermeneutisch-ontologischen Gerüst heranwagen, um das je eigene Dasein in seiner vollen Phänomenalität zu explizieren, d.h. auszulegen, z.B. an das Grundphänomen der Wertdinglichkeit, die nach Existenzialien, nicht nach Kategorien ruft. Diese Aufgabe wird gestellt, auch wenn Heidegger selbst dieses phänomenologisch-hermeneutische Problem nie gesehen hat. Die einfachen, alltäglich gegebenen Phänomene sollen die Führung für die Aufgaben des Denkens übernehmen und auch als Prüfstein dienen. Geschieht dies nicht, besteht die große, schon längst eingetretene Gefahr, daß die Auseinandersetzung mit Heideggers Denken in eine Gelehrsamkeit abdriftet, und sich damit in einer bloßen Heidegger-Exegese mit dem ewigen Hin-und-Her der Heidegger-Gelehrten zu verlieren. Heidegger-Exegese — wie die ganze Gelehrtenphilosophie heute überhaupt — ist ein ganz netter Zeitvertreib, aber kein schöpferisches Denken, das etwas wagt.
Erst 1923 im SS Ontologie (Hermeneutik der Faktizität) GA:63 hat er m.E. die Spur gefunden, die ihn viel weiter bringen wird, und zwar in einer hermeneutischen Ontologie der Faktizität, wobei Faktizität "das eigene Dasein als befragt auf seinen Seinscharakter" (GA63:29) bedeutet. Da erscheint eine durchdachte Begrifflichkeit, die Rede ist nicht mehr vom "Leben", sondern vom "Dasein".
"Die Hermeneutik hat die Aufgabe, das je eigene Dasein in seinem Seinscharakter diesem Dasein selbst zugänglich zu machen, mitzuteilen, der Selbstentfremdung, mit der das Dasein geschlagen ist, nachzugehen. In der Hermeneutik bildet sich für das Dasein eine Möglichkeit aus, für sich selbst verstehend zu werden und zu sein." (GA63:15)
Das je eigene Dasein bleibt von sich selbst entfremdet, solange es seinen eigenen Seinscharakter nicht versteht. Dieses Sich-selbst-Verstehen erfordert Begriffe, nämlich hermeneutisch-ontologische Begriffe, die sich an die Phänomenalität des Daseins anschmiegen und damit zu "Existenzialien" werden.
"Das »Heute« nach seinem ontologischen Charakter, als Wie der Faktizität (Existenz), kann voll erst bestimmt werden, wenn explizit das Grundphänomen der Faktizität sichtbar geworden ist: »die Zeitlichkeit« (keine Kategorie, sondern Existenzial)." (GA63:31)
Hier kommt die Zeitlichkeit, die keine Rolle in GA58 gespielt hat, zum Durchbruch, und das Grundphänomen der Faktizität des eigenen Daseins entpuppt sich als die Zeitlichkeit! Ich bin also die Zeit selbst auf meine je eigene Weise! Du bist also die Zeit selbst auf deine je eigene Weise! Existenziale betreffen nicht, was das Dasein, sondern wer jeweils das Dasein-in-der-Welt eines geschichtlichen Zeitalters ist. Viel später — in seinem Vortrag 'Zeit und Sein' (1962) — wird das Dasein insofern die vierte Dimension der offenen Zeit, als die dreidimensionale Zeit es er-reicht. 1923 ist es jedoch noch nicht so weit: "Das eigene Dasein ist, was es ist, gerade und nur in seinem jeweiligen »Da«." (GA63:29) Und dieses "Da", wie es sich herausstellen wird, ist die je eigene dreidimensionale Zeitlichkeit selbst, wie sie je eigens in ihrer jeweiligen Stimmungsresonanz erfahren wird. Diese Zeitlichkeit ist aber auch das, was wir unentrinnbar miteinander teilen, und somit die ontologisch-existenziale Grundlage alles Miteinanders, alles Wir. Die Zeitlichkeit als Offenheit des Da ist auch die geschichtliche Offenheit für den jeweiligen Seinsentwurf, d.h. für das hermeneutisch-ontologische Gerüst eines Zeitalters, wobei sich die Seinsentwurfe verschiedener Zeitalter auch überlagern können und somit 'koexistieren'. Das hermeneutisch-ontologische Gerüst erfordert eine eigene zusammenhängende Begrifflichkeit, damit der geschichtliche Geist eines Zeitalters explizit (an und für sich) ausgelegt wird. Die "Bedeutsamkeit" von GA58 wird zum "Begegnischarakter der Welt" (GA63 II. Teil, 4. Kap.)
"Es kommt auf hermeneutische Explikation an, nicht weltlicher Bericht über das, was »los ist«." (GA63:30) Also kein unendliches soziologisches Projekt im Geist des Positivismus, das das Empirische unendlich erforscht und erzählend aufbereitet und so vor lauter Bäume den Wald nicht sehen kann.
Mit diesem fundamentalen Verständnis des Grundphänomens des Da des Daseins kann man sich dann weiter an andere Grundphänomene im geschichtlichen hermeneutisch-ontologischen Gerüst heranwagen, um das je eigene Dasein in seiner vollen Phänomenalität zu explizieren, d.h. auszulegen, z.B. an das Grundphänomen der Wertdinglichkeit, die nach Existenzialien, nicht nach Kategorien ruft. Diese Aufgabe wird gestellt, auch wenn Heidegger selbst dieses phänomenologisch-hermeneutische Problem nie gesehen hat. Die einfachen, alltäglich gegebenen Phänomene sollen die Führung für die Aufgaben des Denkens übernehmen und auch als Prüfstein dienen. Geschieht dies nicht, besteht die große, schon längst eingetretene Gefahr, daß die Auseinandersetzung mit Heideggers Denken in eine Gelehrsamkeit abdriftet, und sich damit in einer bloßen Heidegger-Exegese mit dem ewigen Hin-und-Her der Heidegger-Gelehrten zu verlieren. Heidegger-Exegese — wie die ganze Gelehrtenphilosophie heute überhaupt — ist ein ganz netter Zeitvertreib, aber kein schöpferisches Denken, das etwas wagt.
Zu Heideggers Vorlesung WS 1919/20 GA58
Hier einige Bemerkungen zu Heideggers Vorlesung WS 1919/20 Grundprobleme der Phänomenologie GA58. In dieser Frühphase seines Denkens ist Heidegger noch in der Auseinandersetzung mit seinem Lehrer Husserl und liegt im Clinch mit Rickert und der Marburger Schule. Er will die Vergegenständlichung von diesen Philosophien vermeiden und sich ganz nah am "Leben an sich" (GA58:29 et passim) halten, um endlich zu einer Abhebung des "Lebens an und für sich" (GA58:253 et passim) zu kommen. Hier ist —trotz aller Polemik gegen die Dialektik in dieser Phase — die Terminologie ziemlich an Hegels Phänomenologie des Geistes angelehnt.
Mir fällt auf bei Heideggers Erörterungen des lebendigen "Erfahrens" in einer Situation und dann der Erinnerung desselben in der "Kenntnisnahme", daß er von einem "Strömen" sowohl des Erfahrens selbst als auch der Kenntnisnahme beim Erzählen, d.h. von einer kontinuierlichen Bewegung des "Mitgehens" ausgeht, statt auf ein 'Hüpfen' und 'Springen' des Geistes durch Vergegenwärtigung frei durch alle drei zeitlichen Dimensionen aufmerksam zu machen, was seine Beispiele aus dem faktischen Leben durchaus hergeben. Heideggers Denken wird diese Einischt in die eigenartige Bewegung der Vergegenwärtigung auch nie klar erlangen. Dies aber zunächst einmal nur nebenbei bemerkt.
In den MS-Seiten zum Schlußteil der Vorlesung faßt Heidegger ihren Gang und die Absicht zusammen "Die vordeutende Heraushebung der drei Charaktere »Selbstgenügsamkeit«, »Ausdruckszusammenhang«, »Bedeutsamkeit« als vorfindlich im faktischen Leben geschah in der methodischen Absicht, damit wegzeigende Motive verfügbar zu machen für ein möglichst konkretes Erfassen des Lebens selbst. Dieses Erfassen wurde angesetzt als Ursprungsverstehen des Lebens." (GA58:139)
Die drei "Charaktere" sind gut angesetzt, um möglichst nah am faktischen Leben zu bleiben, aber das "Ursprungsverstehen des Lebens" wird und kann so nicht erreicht und begriffen werden. Die Vorlesung schließt, ohne daß ein "Ursprungsverstehen des Lebens" sichtbar wird. Von seinem Ausgangspunkt und seiner Zielrichtung aus sind nur phänomenologische Einzelanalysen von "Situationen" erreichbar — etwa in einem erweiterten — da situations- statt gegenstandsbezogenen — Husserlschen Sinn. Heidegger befindet sich auf einem seiner berühmten "Holzwege". Die Ängstlichkeit gegenüber der Vergegenständlichung, die so 'selbstverständlich' in den Wissenschaften — vor allem in der Psychologie — praktiziert wird, hält ihn davon ab, eine Begrifflichkeit zu entwickeln, die "für ein möglichst konkretes Erfassen des Lebens selbst" taugt. Somit wird später — etwa in Sein und Zeit (1927) — die Bedeutsamkeit in die "Bewandtnisganzheit" (SuZ §18) des Zeugs als einen Begriff der "Weltlichkeit der Welt" (SuZ §18) verwandelt. In der Zwischenzeit gewinnen seine Auseinandersetzungen mit Platon und Aristoteles an Schärfe, so daß es ihm letztendlich möglich wird, so etwas wie den Seinsentwurf eines Zeitalters zu sehen als das "Ursprungsverstehen des Lebens". Dieser Seinsentwurf, solange er nicht explizit abgehoben wird, herrscht in einer gegebenen geschichtlichen Welt als selbstverständlich vor und 'verblendet' so die Menschen (vgl. "Verblendungszusammenhang" Adorno, der damit ausnahmsweise bezüglich der Wertdinglichkeit den Nagel auf den Kopf trifft).
Um vom Bewußtsein zum Da (der Zeitlichtung — in meiner Begrifflichkeit) zu kommen, muß Heidegger sich mehrfach denkerisch verwandeln. Die Verwandlung eines 'selbstverständlichen' geschichtlichen Weltverständnisses erfordert viel mehr als phänomenologische Einzelanalysen von Situationen. Die geschichtliche Verwandlung des Geistes selbst ergibt von sich aus eine alternative Welt. So ist der eigentliche philosophische Kampf: anders, möglichst nah an den elementarsten Phänomenen des Lebens selbst, denken zu lernen, um sie anders sehen zu können. In der heutigen "Zugrichtung des Lebens" scheint dies völlig unmöglich zu sein. Der Zug fährt weiterhin in den alten, bequemen Bahnen einer 'selbstverständlichen' Vergegenständlichung aller Wesenden, d.h. aller An- und Abwesenden in der Zeitlichtung, um all ihre Bewegungen durch Berechnung und (vorzugsweise) wirkkausale Erklärung möglichst in den Griff zu bekommen.
Mit 17 Jahren habe ich Kafkas unvollendeten Roman, Der Prozeß, zum ersten Mal in englischer Übersetzung gelesen. Er hat mich bis heute nicht losgelassen. Das war meine erste (von Kafka zur Sprache gebrachte) Erfahrung von der Fremdheit der Welt, ihrer Fragwürdigkeit, die mich letztendlich in die Philosophie führte. Nicht in eine bequeme Philosophie der 'Consolatio' und der 'Weisheit', sondern in eine des radikalen In-Frage-stellens der Selbstverständlichkeit meiner geschichtlich gegebenen Welt. Das Allerschwierigste an diesem In-Frage-stellen des Selbstverständlichen besteht darin, daß in der Erfahrung seiner bzw. ihrer jeweiligen Welt jeder und jede schon alles — sogar auch die Tiefendimension des Ontologischen — sehr gut vorontologisch versteht und deshalb nicht einsieht, warum man sich mit anscheinend banalen und selbstverständlichen Phänomenen herumschlagen müßte, um das implizite vorontologische Wissen auf die Ebene eines expliziten ontologischen Wissens zu heben.
Mir fällt auf bei Heideggers Erörterungen des lebendigen "Erfahrens" in einer Situation und dann der Erinnerung desselben in der "Kenntnisnahme", daß er von einem "Strömen" sowohl des Erfahrens selbst als auch der Kenntnisnahme beim Erzählen, d.h. von einer kontinuierlichen Bewegung des "Mitgehens" ausgeht, statt auf ein 'Hüpfen' und 'Springen' des Geistes durch Vergegenwärtigung frei durch alle drei zeitlichen Dimensionen aufmerksam zu machen, was seine Beispiele aus dem faktischen Leben durchaus hergeben. Heideggers Denken wird diese Einischt in die eigenartige Bewegung der Vergegenwärtigung auch nie klar erlangen. Dies aber zunächst einmal nur nebenbei bemerkt.
In den MS-Seiten zum Schlußteil der Vorlesung faßt Heidegger ihren Gang und die Absicht zusammen "Die vordeutende Heraushebung der drei Charaktere »Selbstgenügsamkeit«, »Ausdruckszusammenhang«, »Bedeutsamkeit« als vorfindlich im faktischen Leben geschah in der methodischen Absicht, damit wegzeigende Motive verfügbar zu machen für ein möglichst konkretes Erfassen des Lebens selbst. Dieses Erfassen wurde angesetzt als Ursprungsverstehen des Lebens." (GA58:139)
Die drei "Charaktere" sind gut angesetzt, um möglichst nah am faktischen Leben zu bleiben, aber das "Ursprungsverstehen des Lebens" wird und kann so nicht erreicht und begriffen werden. Die Vorlesung schließt, ohne daß ein "Ursprungsverstehen des Lebens" sichtbar wird. Von seinem Ausgangspunkt und seiner Zielrichtung aus sind nur phänomenologische Einzelanalysen von "Situationen" erreichbar — etwa in einem erweiterten — da situations- statt gegenstandsbezogenen — Husserlschen Sinn. Heidegger befindet sich auf einem seiner berühmten "Holzwege". Die Ängstlichkeit gegenüber der Vergegenständlichung, die so 'selbstverständlich' in den Wissenschaften — vor allem in der Psychologie — praktiziert wird, hält ihn davon ab, eine Begrifflichkeit zu entwickeln, die "für ein möglichst konkretes Erfassen des Lebens selbst" taugt. Somit wird später — etwa in Sein und Zeit (1927) — die Bedeutsamkeit in die "Bewandtnisganzheit" (SuZ §18) des Zeugs als einen Begriff der "Weltlichkeit der Welt" (SuZ §18) verwandelt. In der Zwischenzeit gewinnen seine Auseinandersetzungen mit Platon und Aristoteles an Schärfe, so daß es ihm letztendlich möglich wird, so etwas wie den Seinsentwurf eines Zeitalters zu sehen als das "Ursprungsverstehen des Lebens". Dieser Seinsentwurf, solange er nicht explizit abgehoben wird, herrscht in einer gegebenen geschichtlichen Welt als selbstverständlich vor und 'verblendet' so die Menschen (vgl. "Verblendungszusammenhang" Adorno, der damit ausnahmsweise bezüglich der Wertdinglichkeit den Nagel auf den Kopf trifft).
Um vom Bewußtsein zum Da (der Zeitlichtung — in meiner Begrifflichkeit) zu kommen, muß Heidegger sich mehrfach denkerisch verwandeln. Die Verwandlung eines 'selbstverständlichen' geschichtlichen Weltverständnisses erfordert viel mehr als phänomenologische Einzelanalysen von Situationen. Die geschichtliche Verwandlung des Geistes selbst ergibt von sich aus eine alternative Welt. So ist der eigentliche philosophische Kampf: anders, möglichst nah an den elementarsten Phänomenen des Lebens selbst, denken zu lernen, um sie anders sehen zu können. In der heutigen "Zugrichtung des Lebens" scheint dies völlig unmöglich zu sein. Der Zug fährt weiterhin in den alten, bequemen Bahnen einer 'selbstverständlichen' Vergegenständlichung aller Wesenden, d.h. aller An- und Abwesenden in der Zeitlichtung, um all ihre Bewegungen durch Berechnung und (vorzugsweise) wirkkausale Erklärung möglichst in den Griff zu bekommen.
Mit 17 Jahren habe ich Kafkas unvollendeten Roman, Der Prozeß, zum ersten Mal in englischer Übersetzung gelesen. Er hat mich bis heute nicht losgelassen. Das war meine erste (von Kafka zur Sprache gebrachte) Erfahrung von der Fremdheit der Welt, ihrer Fragwürdigkeit, die mich letztendlich in die Philosophie führte. Nicht in eine bequeme Philosophie der 'Consolatio' und der 'Weisheit', sondern in eine des radikalen In-Frage-stellens der Selbstverständlichkeit meiner geschichtlich gegebenen Welt. Das Allerschwierigste an diesem In-Frage-stellen des Selbstverständlichen besteht darin, daß in der Erfahrung seiner bzw. ihrer jeweiligen Welt jeder und jede schon alles — sogar auch die Tiefendimension des Ontologischen — sehr gut vorontologisch versteht und deshalb nicht einsieht, warum man sich mit anscheinend banalen und selbstverständlichen Phänomenen herumschlagen müßte, um das implizite vorontologische Wissen auf die Ebene eines expliziten ontologischen Wissens zu heben.
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