15 February 2020

Positivistische Gleichschaltung des Geistes

Seitdem der Positivismus im 19 Jh. durch die unheimliche, unterirdische Bewegung der Geschichte aufgekommen ist und sich heute konsolidiert bzw. naturalisiert hat, ist die Welt zur Wirklichkeit und die Wahrheit zur Wirksamkeit geworden. Die Welt wird demnach durch Kräfte wirkkausal bewirkt, die wiederum eine Erklärung für die Bewegungen bzw. Geschehnisse aller Art liefern. Hier waltet im Verborgenen der unbedingte Wille zur wirksamen Macht über Bewegungen jeder Art. Der individuelle Geist soll möglichst in den verschiedenen Methoden der wissenschaftlich wirksamen Beherrschung der Bewegung trainiert werden. Auf diese Weise vollzieht sich die Gleichschaltung des Geistes mit der angeblich nicht mehr metaphysischen modernen Wissenschaft.

Wer diesen Entwurf der
Welt als Wirklichkeit in Frage stellt und darauf insistiert, den ontologischen Bau dieser Welt begrifflich zu durchdenken, dem wird konsequenterweise Wirklichkeitsferne vorgeworfen, denn nach der positivistischen Grundeinstellung, für die die ontologische Differenz versiegelt, oder vielmehr zubetoniert bleibt, gelten die empirisch festgestellten, vermeintlich voraussetzungslosen 'ungeschminkten' Fakten als maßgebend. Das Denken liefert demnach lediglich ein 'theoretisches Modell', d.h. ein hypothetisches Denkkonstrukt, das 'wissenschaftlich' ob seiner wirksamen Wahrheit durch empirische Daten geprüft werden muß. Der Positivismus basiert durch und durch auf der Empirie und verachtet das Denken, das mit dem Makel der Abstraktheit behaftet sei. So wird die Spekulation (die lateinische Übersetzung der griechischen Theorie als Kern des philosophischen Denkens) unter der Hand dieses positivistischen Geistes zu einem pejorativen Begriff. Der empiristische Positivismus feiert hinsichtlich der wirksamen Beherrschung der Bewegung einen Triumph nach dem anderen und blickt auf eine erfolgversprechende Zukunft des Immer-weiter-so.

Die altehrwürdige Philosophie degeneriert zum Zeitvertreib von Gelehrten, die etwa über bestimmte Philosophen und ihre 'interessanten Meinungen' bzw. Weltansichten reden, ohne jemals
zu lernen, die elementaren Phänomene selbst begrifflich durchdenken zu können. Die geistigen Institutionen des Staats wie die Universitäten usw. dienen heute zur Unterdrückung des philosophisch-begrifflichen Denkens, das die Geschichte eröffnende Differenz zwischen dem Sein und dem Seienden zu denken vermag.

Die Angst vor dem Denken, das den Status quo in Frage stellt und dadurch die Selbstgefälligkeit und das Gefühl der Sicherheit stört, wird so durch die Verachtung des Denkens verdeckt und für einige durch eine belanglose, folgenlose Beschäftigung mit der Philosophie ersetzt, womit manche Glücklichen (die angestellten Philosophieprofessoren) ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Dabei wird die Sprengkraft des philosophischen Denkens, wodurch der innere Bau der Welt im Stillen entworfen wird, unterschätzt. 

Weitere Lektüre:
Social Ontology of Whoness