14 February 2021

Die Frage nach der Vergesellschaftung

 Die Frage, Wer sind wir?, habe ich bereits in einer Blogpost am 05. Februar 2021 gestellt und eine Antwort umrissen, die in einer eMail-Diskussion als angeblich unverständlich abgelehnt wurde, weil ich meine Quellen, d.h. woher ich meine Gedanken bei berühmten Philosophennamen abgestaubt, nicht angegeben habe. Durch dieses eingespielte Flohhüpfen der nicht-denkenden Gelehrsamkeit hat man sich der Anstrengung entledigt, auf dem Weg, auf dem ich auf sehr einfache Phänomene hinweise, die jeder und jede versteht, zu bleiben und nach-denkend mitzukommen. Oder bei mir nachzufragen, damit ein Gespräch entsteht.

In einem weiteren Beitrag zur erwähnten eMail-Diskussion hat ein Teilnehmer folgendes geschrieben::

"
Um Gleichheit und Solidarität empfinden zu können, dazu bedarf es eines anderen seelischen Aufbaus. Den können aber nur die pädagogisch wirksamen veränderten Sozialisationsbedingungen erzeugen. Und wer soll diese herstellen, wenn er oder sie nur einen vertikalen, inegalen ‚Gesellschaftsaufbau‘ in sich empfinden kann? Also, das alte segregative „Wir“? Oder das dissoziale libertaristische “Ich-Allein-ohne Euch“. Das fragt nach den Wandlungs- und Entstehungsräumen, in denen das Neue und die Geburt einer neuen Idee sich vorbereitet… "

Ich frage mich, wie es überhaupt heute noch möglich sein sollte, von einem "s
eelischen Aufbau" zu sprechen, der pädagogisch wirksam erzeugt, hergestellt werden sollte. Dieser Ansatz behandelt die Seele wie ein formbares Ding, das irgendwie gebaut werden könnte. Für mein Denken gehört ein solcher Ansatz zu dem unbedingten Willen zur Macht über jedwede Art der Bewegung (hier der Sozialisationsbewegung). (NB: Dieser Gedanke ist allerdings weder bei Heidegger noch bei Nietzsche zu finden. Darüber kann man ausführlich in meinen verschiedenen Aufsätzen und Büchern insbesondere in Social Ontology of Whoness nachlesen.) Insofern wäre der Versuch, eine neuartige, nicht-autoritäre Seele pädagogisch zu erzeugen, Teil des Problems, nicht Teil der Lösung.

Auch beim wohlbekannten "
dissozialen libertaristischen “Ich-Allein-ohne Euch“" muß ich nachhaken und fragen, woher diese Dissoziation? Anscheinend  sind 'wir' alle in diesem Zeitalter einverstanden, daß 'wir' alle einzelne, vereinzelte Subjekte sind, jeweils mit einem Bewußtsein und (optional) einem Unbewußten als Innenausstattung. Davon geht sowohl jede moderne Wissenschaft als auch der Alltagsverstand selbstverständlich aus. Die Frage ist dann, wie diese so vereinzelten Bewußtseinssubjekte mit ihrer jeweiligen Innerlichkeit miteinander in einer Welt überhaupt assoziiert, d.h. vergesellschaftet, werden können, damit sie nicht dissoziiert bleiben? Oder vielmehr: die Subjekte werden so miteinander assoziiert, daß sie auch dissoziiert bleiben? Wird etwa ein Haufen Subjekte durch einen kollektiven Willen kollektiviert? Durch ein kollektives Bewußtsein? Das sind bloß hilflose Versuche, die Anomalien der Bewußtseinssubjektivität durch eine irgendwie geartete Intersubjektivität zu überwinden. Denn sie kommen zu spät: als Menschen teilen wir immer schon die Welt miteinander. Es kommt darauf an, das Menschsein selbst adäquat zu denken.

Im Alltagsleben liegt das Medium der Vergesellschaftung offen zu Tage. Es heißt sozio-ontologisch der verdinglichte Wert, oder platter und vorontologisch bekannter: Geld. Wohlgemerkt, das Geld ist nur die eine kristalline Form des
verdinglichten Werts, der beweglich und verwandlungsfähig ist. Ohne das Medium des verdinglichten Werts vor allem in den verschiedenen Wertformen des Einkommens kämen alle von uns im Leben nicht aus. Eine Trivialität? Eine bloß faktische Selbstverständlichkeit? Oder aber ein bisher vernachlässigter Anlaß, über unsere Vergesellschaftung durchs Medium des verdinglichten Werts tiefer nachzudenken? Ohne das Vergesellschaftungsmedium des verdinglichten Werts gäbe es auch nicht das moderne Individuum mit seinem Individualismus. Das Medium assoziiert, indem es gleichzeitig dissoziiert. So wie die ältere Physik vom 19. Jh. noch am Medium des unsichtbaren Äthers hing, um mit Phänomenen der physischen Bewegung in wirkkausalen Bewegungsgesetzen klar zu kommen, sind wir als Subjekte der Gesellschaft durch ein unsichtbares Medium miteinander vergesellschaftet. Warum unsichtbar? Weil das heutige Denken gar nicht daran denkt, sondern stets bemüht ist, (vor allem wissenschaftlich) lediglich Erklärungen für die Bewegungen in der Welt zu liefern, statt die Seinsweisen der Phänomene selbst einfach in den Blick zu nehmen d.h. hier: die Wert-Form (_idea_, _eidos_, Anblick) als Seinsweise. Für bloße Erklärungen reicht es schon aus, das faktisch Seiende positivistisch in den Blick zu nehmen, und all die modernen Wissenschaften tun nichts anderes als dies. Insofern sind sie alle ohne Idee (_idea_, _eidos_, Anblick)!

Wenn nach der "
Geburt einer neuen Idee" gefragt wird, muß man (ich allein?) bereit sein, nach dem Menschsein selbst zu fragen, und zu hinterfragen, ob der Mensch geschichtlich auf immer und ewig 'selbstverständlich' Bewußtseinssubjekt (eine Erfindung des 17. Jh.) bleiben muß. Wenn er so bleibt, dann bleibt auch das Miteinander dieser vereinzelten Subjekte in der Welt problematisch, d.h. eigentlich nicht möglich. Kein Appell an die Solidarität, kein Sollen, kann dieses Manko jemals beheben. In meiner erwähnten Blogpost, Wer sind wir?, habe ich umrissen, daß wir in erster Linie 'wir' sind, weil wir alle, ob wir es wollen oder nicht, ob wir es wissen oder nicht, an der dreidimensional-geschichtlichen Zeit teilnehmen. Nur: diese "neue Idee" ist nicht bekannt und kann auch nicht bloß bei Heidegger nachgelesen und von daher für den Alltagsgebrauch kopiert werden. (Bei Heidegger ist diese "Idee" so auch nicht zu finden.) Vielmehr wird die "neue Idee" der dreidimensionalen Zeit gar nicht zur Kenntnis genommen. Wo sie nicht bloß ignoriert wird, wird sie mit der List der institutionalisierten Philosophie mit großem Unverständnis abgetan. Schließlich ist diese degenerierte Philosophie in unserem positivistischen Zeitalter da, um den Status quo von Willy P. und Pleon Exia (s. die nachfolgende Post) frag-los aufrechtzuerhalten. Sie hat rein apologetische Funktion und darf sich mit ihrer harmlosen Ethik weiterhin beschäftigen, denn diese stört nicht!

Daß die menschliche Psyche sich als der
dreidimensionalen Zeit zugehörig, und daß wir Menschen nur durch diese Zugehörigkeit Menschen sind, ist eine "neue Idee", die der langen individuellen wie auch geschichtlichen Einübung bedarf. Wir sind heute dieser Idee gar nicht gewachsen, und heute können wir nicht voraussehen, wohin diese "neue Idee" führen könnte, wie die Welt durch diese einfache aber radikale Idee dann völlig anders aussehen würde. Genauso legt die Entschleierung des verdinglichten Werts als Vergesellschaftungsmedium den Blick frei für das freie, d.h. das zeitlich dreidimensionale, wirkkausal unbeherrschbare, gegenseitige Wertschätzspiel, das keinerlei moderne Wissenschaft jemals wird sehen können. Auch nicht die Ethik. Warum? Weil der unbedingte Wille zur Macht über jedwede Art der Bewegung mit der von Aristoteles ererbten eindimensionalen Zeit notwendigerweise einhergeht, in deren Idee (_eidos_, Anblick) wir heute noch alle frag- und schmerzlos stecken. Die Bewegungsart des Wertschätzspiels in der dreidimensionalen Zeit als solche bleibt damit noch lange für uns unbekannt und unsichtbar.


No comments:

Post a Comment