15 February 2021

Von Willy P. zum Quantumcomputer

Seit einigen Jahren nenne ich den unbedingten Willen zur Macht über jedwede Art der Bewegung der Kürze halber Willy P. Er ist der verborgene Gott der Technowissenschaft. Zusammen mit seinem Bruder-Gott Pleon Exia der angebetete Gott des Gewinn-Spiels beherrscht Willy P. den Zeitgeist. Dementsprechend unterwerfen wir uns alle unwissentlich diesen beiden Göttern. Was aber hat Willy P. mit der eindimensional-linearen Zeit zu tun? Antwort: alles. Vor zweieinhalb Jahrtausenden hat Aristoteles die 1D-lineare Zeit entworfen und im Einzelnen durchdacht in seiner Physik. (Die Physik als die Wissenschaft der Bewegung beansprucht heute immer noch mit Erfolg, die fundamentale Wissenschaft zu sein.) Die lineare Zeit (ob gerade oder zyklisch linear macht hier keinen Unterschied), die für die Wirkkausalität (Ursache, dann Wirkung) unerläßlich ist, ist aber von Anfang an und bis heute mit einem Widerspruch zwischen der zählbaren Unendlichkeit der diskret-gezählten Zeit einerseits und der unzählbaren Unendlichkeit der kontinuierlichen Zeitlinie andererseits behaftet. Denn für Aristoteles ist die Zeit beides! Er hat arithmetische Vorstellungen mit geometrischen Vorstellungen der Zeit als einer irgendwie physischen Größe vermengt, genauso wie heute dies noch in der Physik ohne weiteres geschieht. Insofern bleibt die Idee der linearen Zeit  inkohärent.

Seit den Anfängen der griechischen Mathematik ist diese mit der merkwürdigen Inkommensurabilität zwischen den diskreten rationalen Zahlen und dem Kontinuum der irrationalen Zahlen vertraut. Diese
Inkommensurabilität erzwingt später im 17. Jh. mit Descartes, Newton und Leibniz die Erfindung eines merkwürdigen Kalküls, nämlich der Infinitesimalrechnung, um mit der Mathematisierung der Physik als der Wissenschaft der Bewegung ernst zu machen. Denn die Infinitesimalrechnung kittet
nicht ohne Schummeln die Inkommensurabilität zwischen dem Diskreten und dem Kontinuierlichen. Das Schummeln wurde erst in der 2. Hälfte des 19. Jh. durch K. Weierstraß und R. Dedekind einigermaßen behoben. Mit Hilfe der Infinitesimalrechnung wurde nichtsdestoweniger die physische Bewegung in der kontinuierlichen, linearen Zeit durch die Differenzierung sowie die Integration berechenbar. Damit wurde einer erheblichen Machterweiterung von Willy P. Genüge getan.

Um die Jahrhundertwende jedoch wurde eine diskrete Quantisierung der Physik durch Anomalien in der Theorie der elektromagnetischen Strahlung erzwungen (unendliche Energie durch zunehmende Frequenz!). Die Planck-Konstante mußte zum großen Mißfallen der Physiker selbst eingeführt werden, um die Energie, d.h. Beweglichkeit, eines Teilchens zu quantisieren (vgl. Einsteins photoelektrische Experimente 1905). Diese Quantisierung führte letztendlich über Einstein und andere im Jahr 1925 zur Formulierung der Heisenbergschen Quantenunbestimmtheit in der Bewegung von subatomaren Teilchen: die eindeutige, wirkkausale, mathematisierte Herrschaft über die physikalische Bewegung durch die Physik war dahin und mußte zugunsten einer bloßen Wahrscheinlichkeitsberechnung der sog. 'Evolution' von mehrdeutigen dynamischen Zuständen aufgegeben werden. Es widerstrebte Einstein selber zutiefst, die eindimensionale Wirkkausalität (und damit implizit und bis heute unerkannt die eindimensionale Zeit selbst) in der Physik der Teilchen aufzugeben. Aber die Bewegung von Teilchen wie Photonen und Elektronen mußte dennoch diskret quantifiziert werden. Der latente Widerspruch zwischen den diskreten, rationalen Zahlen und dem irrationalen Kontinuum war in der Wissenschaft der Bewegung des Beweglichen offen zu Tage getreten. (Deshalb die Problematisierung des Kontinuums in den 1910er Jahren etwa durch Hermann Weyl in seinem Das Kontinuum 1918.)

Aber Willy P. wäre nicht Willy P., wenn es ihm nicht einfiel, wie die Quantenunbestimmtheit in der Teilchenbewegung doch zu einer Steigerung seiner Berechnungsmacht über die Bewegung führen könnte. Wenn die Quantenunbestimmtheit (bei extrem niedrigen Temperaturen) auf die Wahl zwischen genau zwei verschiedenen dynamischen Zuständen beschränkt werden könnte, dann hätte man Qubits, die in einem unbestimmten Zustand zwischen 0 und 1 schweben. Dieser Schwebezustand, die aus der Superposition von zwei verschiedenen Bit-Zuständen gleichzeitig, ermöglicht die parallele Berechnung mit beiden möglichen binären Bit-Werten gleichzeitig. Dies erlaubt eine exponentielle Steigerung der Anzahl der darstellbaren Konfigurationen. Mit lediglich 30 Qubits steigt die Anzahl der Konfiguration
Anzahl der darstellbaren Konfigurationenauf 2 zu der 30x2=60. Potenz (2exp(60)). Eine Berechnungskraft in dieser Größenordnung würde die Berechnungskraft aller Computer auf der Erde heute übersteigen. Im Vergleich dazu können 30 konventionelle Bits lediglich 2 zu der 30. Potenz (2exp(30)) Konfigurationen darstellen.

In den letzten paar Jahrzehnten haben wir den Einbruch der Cyberwelt in unsere Welt erfahren und stehen noch am Anfang dieser Entwicklung, in der die Cyberwelt progressiv unsere physische und gesellschaftliche Welt in sich absorbieren wird. Mit den kommenden Quantencomputern wird die digitale Berechnungskraft exponentiell steigern
mit unabsehbaren Folgen für unsere Lebensbewegungen in der Welt, denn die Quantenalgorithmen werden zunehmend kybernetisch immer stärker in unsere Lebensbewegungen eingreifen und steuern, was wir tun können und nicht tun können.

Wir werden aber dieses Geschenk von Willy P. der Bequemlichkeit halber und v.a. wegen des Versprechens der Heilung von bisher unheilbaren physischen Krankheiten dankbar annehmen. So werden wir unsere Anbetung von Willy P. unwissentlich fortsetzen, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß die eindimensional-lineare Zeit die Zeit der wirkkausalen Notwendigkeit ist, während erst die Offenheit der dreidimensionalen Zeit, woran wir bisher nicht denken, uns die Bewegungsfreiheit bietet.

Eine ausführliche Darlegung dieser Gedankenlinie ist im langen Anhang zu meinem Movement and Time in the Cyberworld enthalten. 

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