Aus einem philosophischem Gespräch
Hier kurz zu einem entscheidenden Mißverständnis deinerseits, wenn du schreibst, daß ich "Bewegungen in der Welt grundsätzlich von Bewegungen ‘in mir’ (mental etc..)" unterscheide. Dieses “in mir” mag wohl für Husserl gelten (der stets mit Innen/Außen operiert, genauso wie Descartes und Kant), aber ich fasse die eigenartige Bewegung der Vergegenwärtigung grundsätzlich als (hermeneutisches Als) eine Bewegung der Psyche in sich selber, d.h. innerhalb der allumfassenden dreidimensionalen Zeit, die keineswegs "in mir" noch außer mir ist, eben weil sie vorräumlich ist. Die 3D-Zeit = Psyche ist nirgendwo! Und die Vergegenwärtigung ist die Bewegung innerhalb der Psyche, wodurch sie als verstehend, vernehmend auf dies oder jenes — einschließlich aber nicht ausschließlich auf sinnlich wahrnehmbare Bewegungen in der Welt — fokussiert. Die Vergegenwärtigung ist die psychische Bewegung durch die 3D-Zeit. Deshalb braucht das Dasein keine Zeit-Maschine, weil es schon eine ist. Und sie hat keine Grenze zwischen Innen und Außen zu überwinden.
Ich unterscheide zwischen der Nennung eines Phänomens und seinem ontologischen Begreifen als einer Seins- bzw. Anwesungsweise. Ohne dieses mein Verständnis der ontologischen Differenz vom hermeneutischen Als her könnte man meine Schriften der letzten Jahrzehnte alle auf den Müll kippen. Dann wäre ich ein sehr, sehr schlechter Schüler gewesen, hätte nichts begriffen...
Z.B. kann das Phänomen Geld benannt und das Geld sehr gut mit seinen verschiedenen wesentlichen Funktionen von jedem verstanden und dementsprechend verwendet werden. Aber das Geld hermeneutisch als eine Form (εἶδος = Anblick des Seins eines Seienden) des verdinglichten Werts zu begreifen, erfordert Einsicht in die (sozio)ontologische Dimension. Damit kann ich in einem nächsten Schritt den Wert (nicht bloß das Geld!) als Medium der Vergesellschaftung (schon wieder eine eigentümliche Bewegung) begreifen.
Die ontologische Auslegung Phänomens Geld als eine Form oder εἶδος des verdinglichten Werts eröffnet die Dimension, in der der Kapitalismus als eine Weise der Vergesellschaftung durch das Medium des verdinglichten Werts begriffen und praktiziert werden kann, nämlich als Verwertungsbewegung des verdinglichten Werts, die alles Wertvolle in sein Kreisen zieht. Die Verwandlung der Wertformen von Ware in Geld oder Geld in Arbeitslohn oder Leihkapital in Zinsen oder Land in Grundrente usw. erfordert jeweils Tauschtransaktionen verschiedener Art (hauptsächlich entweder ein Verkauf oder Verleih), an denen mindestens zwei beteiligt sind. Sie müssen zu einer Übereinstimmung kommen, damit die Transaktion vollzogen wird selbst dann, wenn eine der Parteien einen großen Vorteil in den Verhandlungen hat. Solche Tausch- und Leihbewegungen fallen unter die Rubrik des Vertrags unter Privateigentümern im bürgerlichen Recht.
Daß Dinge und Personen als Privateigentum und Privateigentümer erscheinen und dementsprechend behandelt werden, und daß die ganze wirtschaftliche Bewegung als unzählige Transaktionen unter Privateigentümern (einschl. der Lohnverdiener als Eigentümer ihrer eigenen Arbeitskraft) aufgefaßt wird, verschleiert, daß hermeneutisch-ontologisch gesehen die gesamte Bewegung als Bewegung des verdinglichten Werts geschieht. Die Erscheinungsform Privateigentum verdeckt den verdinglichten Wert und macht ihn unsichtbar.
Daß diese gesamtgesellschaftliche Verwertungsbewegung des verdinglichten Werts nur durch die vielen Tausch- und Leihtransaktionen vermittelt bzw. ermöglicht wird, macht diese Bewegung zu einem Gewinn-Spiel im Medium des verdinglichten Werts unter den vielen Spielern, die jeweils nach ihrer jeweiligen Einkommensart streben. Die Transaktionen finden nur als Züge im Gewinn-Spiel statt und sind wesenhaft unkalkulierbar. Die Spieler im Spiel (die wir alle sind) müssen ihre Gegenspieler gegenseitig einschätzen, um das Gewinn-Spiel zu spielen. Selbst wenn eine der Parteien versucht, die andere geschickt zu manipulieren oder zu erpressen, sind solche Versuche Teil des unkalkulierbaren Machtspiels unter den Spielern. Diese wesenhafte Unkalkulierbarkeit der Spielzüge liegt der Unberechenbarkeit und Krisenanfälligkeit der gesamtgesellschaftlichen Verwertungsbewegung zugrunde.
Die Unberechenbarkeit des Gewinn-Spiels im Medium des verdinglichten Werts unterscheidet sich also wesenhaft von der technisch-wissenschaftlichen Beherrschung von Bewegungen vielerlei Art, die sich als mehr oder weniger wirkursächlich erklärbar erweisen. (Multikausalität oder statistisch signifikante Korrelationen sind lediglich Abschwächungen einer prinzipiell angenommenen Wirkursächlichkeit.) Seit ihrer Geburt und unter dem Druck des positivistischen Denkens strebt die Wiirtschaftswissenschaft bis heute vergeblich an, "Bewegungsgesetze" (Marx) der Wirtschaftsbewegung zu entdecken.
Nun ist das wirtschaftliche Gewinn-Spiel im Medium des verdinglichten Werts exemplarisch dafür, daß die meisten Bewegungen in der Welt nicht wirkursächlich erklärbar sind, und daß die unzähligen wissenschaftlichen Versuche, sie trotzdem so zu erklären, Illusionen sind und auf Scharlatanerie hinauslaufen. Der feste Glaube an der Wirkursächlichkeit geht Hand in Hand mit dem ontologischen Entwurf der Zeit selbst als eindimensional-linear. Um die vielfältige Phänomenalität der Unberechenbarkeit von Bewegungsarten — vor allem spielerischen Bewegungsarten im Gewinn-Spiel sowie allgemeiner im Schätzspiel unter uns Menschen — angemessen hermeneutisch zu verstehen, bedarf es eines anderen Entwurfs der Zeit überhaupt, nämlich als genuiner dreidimensionalen Zeit, mit drei voneinander unabhängigen Dimensionen, die die Bewegungsfreiheit denkerisch erst ermöglichen. "Denkerisch" heiß hier lediglich: daß wir es überhaupt erst sehen und verstehen. Die Vergesellschaftung durch das Medium des verdinglichten Werts ermöglicht erst das Gewinn-Spiel und damit auch die geschichtlich spezifische bürgerliche Freiheit.
Auf diese Weise verstehe ich, wie geschichtlich ein anderer hermeneutisch-ontologischer Entwurf der Zeit selbst notwendig ist, um überhaupt zu begreifen, worin unsere menschliche Freiheit besteht bzw. bestehen könnte. Heute jedoch läuft das Denken blind und geblendet in die ganz andere Richtung des Beherrschenwollens aller Bewegung, selbst wenn es zu einem 'guten Zweck' wie z.B. der Nachhaltigkeit sein sollte.
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