14 July 2017

Zoran Đinđić - Das Kapital

Bei der Suche nach der 1981er Doktorarbeit Marx´ kritische Gesellschaftstheorie und das Problem der Begründung von Zoran Đinđić (als serbischer Premierminister 2003 in Belgrad ermordet) bin ich auf den folgenden Blogeintrag von Volkbert (Mike) Roth gestoßen: 8. - 12. April Djindic / Lebenskunst. Mike von der Uni. Konstanz hat mich 1976 als Gastdozent in General Philosophy an der Uni. Sydney in die Marxsche Kapital-Lektüre eingeführt. Im erwähnten Haus in der Konstanzer Alpenstr. 4 mit Ivo Glaser habe ich auch im Deutschen Herbst 1977 gewohnt. Zoran habe ich später auch ein paar Mal getroffen, als er von Frankfurt auf Besuch nach Konstanz kam.

Das Sydney-Konstanz Projekt mit dem Fokus auf Marx und Hegel (vor allem seiner Rechtsphilosophie) nahm seinen Anfang in dieser Zeit. Daraus ist meine Diss. 1984  entstanden, die bis heute für die Welt brachliegt. Darin ein Rekonstruktionsversuch des "Rohbaus" des Kapital Bde. I-III. sowie ein Versuch, über die Wesensanalyse kapitalistischen Wirtschaftens hinaus in den sog. "Überbau" weiter dialektisch hineinzudenken. Wie im Vorwort dieser Dissertation dargelegt war Marx' ursprünglicher Plan einer kritischen Theorie der kapitalistischen Gesellschaftsform viel, viel umfassender als das, was er selber durchführte bzw. durchführen konnte. Das Wort "-form" verweist unweigerlich auf die platonische Idee und Platons sog. 'Theorie der Formen', d.h. der Ideen. Die Ideen sind aber die 'Anblicke', die Seiendes von sich als Seiendes der Psyche apriori zeigen. Somit sind wir vom Anfang an im Kapital in der ontologischen Differenz drin, was freilich von 'materialistischen' Marxisten vehement geleugnet werden muß. Das Als nennt nichts anderes als die
ontologische Differenz selbst, wie sie in der aristotelischen Metaphysik formuliert wurde: eine Untersuchung von _to on haei on_, d.h. vom Seienden als Seiendem, d.h. von Seiendem, sofern es schlicht seiend und weiter nichts ist. Freilich gibt es mannigfache Seinsweisen. Nicht nur für Hegel und Heidegger war die Wiederentdeckung des Aristoteles entscheidend für ihr Denken, sondern auch — teils über Hegel, teils auch von sich aus — für Marx. Die berüchtigte und alles entscheidende Wertformanalyse im 1. Kapitel von Kapital Bd. I wäre ohne den entscheidenden Einfluß von Aristoteles Eth. Nic. Buch V über die Gerechtigkeit nicht denkbar. Die Wertform ist diejenige Idee, d.h. derjenige Anblick des Seienden als solchen, der es als wertvoll erscheinen läßt.

Das Kapital bietet also die allererste Ontologie kapitalistischen Wirtschaftens, die freilich eine Sozialontologie ist. Die Form (Idee) der Vergesellschaftung durch die Wertschätzung steht in Frage! Marx' Hauptwerk bzw. Hauptentwurf ist aber bis heute kaum als solche gelesen worden, sondern wurde sehr schnell — besonders durch Engels' popularisierende 'Hilfe' — als Historischer Materialismus positiviert, wo der Marxismus bis heute trotz Prager Frühlings und Neuer Linke steckengeblieben ist. Taube Ohren und blinde Augen, d.h. eine geteilte, verschlossene, vorurteilsgeladene Psyche, die sich mit ihrer kritischen, antikapitalistischen Haltung beruhigt, statt sich einem abgründigen Fragen auszusetzen, in dem erst wir Menschen Freiheit erfahren können.


Soweit es um die Gesundwerdung eines kranken Körpers geht, kannst du medizinische Hilfe durch einen Arzt aufsuchen, der dich als Patienten behandeln wird. Soweit es aber um die Gesundwerdung einer blinden Psyche geht, gibt es niemanden, der dich als Patienten behandeln könnte. Du mußt dich selber, d.h. wie du dich und damit auch die Welt verstehst, in Frage stellen und so den Boden unter den eigenen Füßen wegziehen, während du ein anderes Selbst- und Weltverständnis aus dem Abgrund gewinnst und so wieder zum Stehen kommst! Auch wenn ein weiser, hilfreicher Lehrer dir eventuell eine Richtung zeigen kann, ist dein Sehenlernen deine eigene nicht nur anstrengende, sondern auch Mut erfordernde Arbeit.

Vertiefende Lektüre: Critique of competitive freedom and the bourgeois-democratic state, Kapital und Technik und Social Ontology.


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