(Oder: Wie die Neuzeit die Antike über den Tisch zog )
Die Neuzeit wurde ontologisch im 17. Jahrhundert auf vollendete Weise durch das Denken Descartes’ mit seiner Setzung des Bewußtseinssubjekts eingeleitet. Das Bewußtsein als Subjekt zu proklamieren, dreht schon das _hypokeimenon_ (Subjekt) des antiken griechischen Denkens um, denn es war das Zugrunde-liegende (von _hypo_ 'unter' und _keimai_ 'liegen'), das durch den _logos_ des alltäglichen sowie des philosophischen Denkens angesprochen wurde.Die Leitfrage der griechischen Philosophie und besonders von Sokrates und Platon — nämlich _ti estin...;_, “Was ist...?” — war an das zugrunde-liegende Sub-jekt gerichtet, um zu untersuchen, was es ist, d.h. sein Wassein, Quidditas oder Wesen. Die Frage nach dem Wassein bleibt die Leitfrage durch die ganze Antike und auch weiter im christlichen Mittelalter mit seiner theologischen Untersuchung von dem, was Gott ist.
Mit dem Cartesischen "cogito ergo sum", “Ich denke/fühle/empfinde/nehme wahr, deshalb bin ich”, wird das Bewußtseinssubjekt gesetzt. Dies ist kein Syllogismus mit einem Schluß, wie das Wort “deshalb” nahelegt. Es gibt nicht einmal zwei Prämissen, die syl-logistisch in einem Schluß zusammengeschlossen werden könnten. Vielmehr wird ein eingeschlossenes Bewußtsein als das neue Wesen des Subjekts gesetzt. Dieses subjektive Bewußtsein wird mit einer Außenwelt konfrontiert, die aus ihm gegenüberstehenden Gegenständen besteht.
Die Frage der Antike nach dem, was das Subjekt (_hypokeimenon_) ist, in der dritten Person singular gestellt wird in eine positive neuzeitliche Setzung der Gewißheit, “Ich bin” in der ersten Person, verwandelt. Das Bewußtseinssubjekt wird hermeneutisch als das fundamentum inconcussum, d.h. als die unerschütterliche Grundlage, gesetzt, von deren sicherer Basis aus die Außenwelt vernommen werden sollte. Diese Vernehmung findet in erster Linie durch — vorzugsweise mathematische — theoretische Modelle statt, die vom Bewußtsein konstruiert werden. Diese wissenschaftlichen Modelle werden mit experimentellen Daten von der Außenwelt der Gegenstände beliefert, um die in Frage stehende Theorie zu prüfen. Solange die Theorie der experimentellen Überprüfung standhält, wird sie als die objektive Wahrheit betrachtet.
Wer denkt heute über diese epochemachende Verschiebung von der dritten Person singular zur ersten Person singular nach? Wer hat sie überhaupt bemerkt? Warum wird dieses Bewußtseinssubjekt in der ersten Person noch als ein Was — besonders für wissenschaftliche Zwecke — betrachtet, so daß die erste Person wieder in die dritte Person verbogen wird? Warum wird diese Verbiegung nicht als das gesehen, was sie ist? Warum hat es keine parallele Verschiebung von der antiken Frage nach dem Wassein des _hypokeimenon_ in der dritten Person zur Frage nach dem Wersein des Bewußtseinssubjekts in der ersten Person gegeben? Warum bleibt selbst das Wort ‘Wersein’ — oder sein lateinisches Äquivalent ‘quissitas’ — heute noch ein befremdlicher Neologismus? Während das ‘Wassein’ oder ‘Wesen’ als mehr oder weniger ‘natürlich’ angenommen wird?
Diese Lage ist nicht nur ein der wachsenden Armut des Denkens im heutigen Zeitalter geschuldetes Übersehen, sondern auch eine Frage der Macht, der wirksamen und der gesellschaftlichen Macht — eine Frage, die in den Bildungseinrichtungen systematisch unterdrückt wird.
Weitere Lektüre: Social Ontology Kap. 3, 10 and 11.
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