14 June 2017

Gedankenlosigkeit empirisch erfahren

In Antwort auf meine beiden letzten Blogeinträge zum Positivismus, Russell und Heidegger hat sich ein angeblicher Freund des Denkens, der die philosophische Auseinandersetzung mit mir nicht fortsetzen will, mit einem Kommentar bei mir gemeldet, den man sich denkerisch auf der Zunge zergehen lassen sollte:

"Ich bringe den Text [in der eMail ME] auch als vage Reaktion auf Deine Positionen von zuletzt zum Messkircher und dem Positivismus. Dass Ersterer weder auf die konkrete Einschreibung von Isarkraftwerken noch von Atombomben je einging, macht ihn so irrelevant, urteilsunfähig. Die abstrakte Klage über den metaphysischen Niedergang hilft da gar nichts. Man muss schon für ein wenig mehr begehrensökonomische Einbindung sorgen, soll‘s nicht im Paralleluniversum verpuffen."

Diese Antwort hat meinen Widerspruch hervorgerufen, und zwar aus Gründen, die ich hier kurz angeben will:

Was beinhaltet der Vorwurf, daß der Meßkircher Heidegger "weder auf die konkrete Einschreibung von Isarkraftwerken noch von Atombomben je einging"? Lassen wir die "Isarkraftwerke" beiseite, im von mir zitierten Text Heideggers geht er gerade als Denker auf die "Wasserstoffbomben" ein. Was heißt "konkrete Einschreibung"? Heißt es: die Wasserstoffbomben ontisch in ihrer unermesslichen Zerstörungskraft genommen? Heidegger geht gerade darauf ein, um dann in einem zweiten Schritt auf eine noch größere Gefahr hinzuweisen, die jenseits des ontisch genommenen Seienden (etwa, einer Atombombe) in der Differenz zwischen dem Seienden und dem Sein, d.h. in der sogenannten ontologischen Differenz, liegt. Diese Gefahr kann nur gesehen werden, solange philosophisch diese ontologische Differenz — die seit Platon viele Namen getragen hat etwa: _idea_, _to on haei on_ ('das Seiende als Seiendes', Aristoteles), Spekulation (Hegel) — sichtbar bleibt. Und gerade die positivistisch-analytische Philosophie (neben der heutigen, immer noch Cartesisch-geprägten französischer Philosophie) ist es, die diese ontologische Differenz mit aller denkarmen Gewalt zum Verschwinden gebracht hat. 

Mein Freund des Denkens paraphrasiert diesen Aufruf zum Denken Heieggers als "abstrakte Klage über den metaphysischen Niedergang" und empfiehlt stattdessen, "begehrensökonomische Einbindung". Was aber besagt dies? Eine ontisch-soziologisch-politische Betrachtungsweise? Wohl ja, denn in einem längeren Teil seiner eMail geht es um "koloniale und postkoloniale" kapitalistische Ausbeutung in Afrika und der Karibik — also wird ein konkreter, linkskritischer Blick auf real-existierende Ausbeutungsverhältnisse eingefordert. Dagegen wird das, was Heidegger mit dem Vorwurf der Gedankenlosigkeit unserer Zeit einfordert, als "abstrakte Klage" abgetan, und zwar ohne sich darüber philosophische Gedanken zu machen, worin die Gefahr für die Menschheit besteht, daß sie nur noch fähig ist, die Welt ontisch, d.h. positivistisch, zu verstehen. Wie überall im heutigen Alltags- und Mediendiskurs reicht schon das vorurteilsbeladene Wort "abstrakt", um angeblich kritische Arbeit zu tun. Das heißt aber, daß dieser Freund des Denkens gerade jene Gedankenlosigkeit gedankenlos praktiziert, die von Heidegger angesprochen wird, um eben seine Zuhörer nachdenklich zu stimmen. 

Der Vorwurf einer bloß "abstrakten Klage" will auch sagen, daß man damit lediglich in einem "Paralleluniversum" landet. Somit wird beim uralten Vorurteil und der Fehleinschätzung stehengeblieben, daß das philosophische Denken fürs praktische Leben und für die Sorgen und Kämpfe der Menschen nichts bringt. Mir scheint, daß dieser Freund des Denkens nicht nur nicht weiß, was philosophisches Denken ist (es erfordert nämlich die "Anstrengung des Begriffs" (Hegel)), sondern noch schlimmer, daß er nicht bereit war noch ist, philosophisches Denken zu lernen. Mit dieser Haltung ist er keineswegs allein und er weiß auch nichts von seinem abgründigen Selbstbetrug. Stattdessen Abwehr auf sogenannt kritischem Feuilletonniveau.

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